Samstag, 12. Dezember 2015

Le1212 - Imagine

Wo kommen wir nur hin? Auf der Straße treffe ich zufällig meinen Kommilitonen und Kumpel aus Kolumbien. Es ist hier fast wie bei ihm zu Hause in Kolumbien. Ja, nach hause, das neue Zuhause in Leipzig. Dahin kommt er gerade gar nicht mehr, weil die Polizei alles gesperrt hat.

Wasser, Rauch, Hubschrauberdröhnen, das Klappern der auf der Straße liegenden Schilder, Flaschen, ein Umgefallenes Dixieklo, herumrennende Menschen und irgendwo, aus einer Box spielt Imagine.

Was passiert hier? Alles wirkt so unwirklich. Ich laufe die Straße hinunter, wollte mich mit jemanden treffen um gemeinsam gegen die rechte Hetze zu demonstrieren. Sie ist schon gegangen. Sie hat keine Lust auf Eskalation. Ich soll auf mich aufpassen. Ich laufe weiter.
"Kathaa" höre ich. Wer ruft mich? Eine andere Freundin.
Wir laufen zusammen die Straße hinunter. Vorbei am Feuer, an auf der Straße liegende Schilder, zerbrochenem Glas. Steine. Steine auf der Straße. Lauter Steine und Scherben. Und Rauch. Gesäumt von den so schönen bunten Häusern der Karli. Die haben zu. Oder viele. Besser ist, denn das Tränengas zieht auch in die Läden, wie wir erzählt bekamen.
Ich habe auch Tränen in den Augen. Egal ob es vom Gas kommt, oder von der Fassungslosigkeit.
Am Ende ist es egal.

Wir müssen rennen. Vor uns werden Leute von Polizisten geschubst. Von der harten schwarzen Mauer, die sich auf uns zu bewegt. Von der anderen Seite kommen die Mauersteine angerannt und rennen und schubsen um, was ihnen nicht aus den Weg geht. Diese Mauersteine, die doch eigentlich keine Mauersteine, sondern Menschen sind. Menschen sollten doch Verstand haben? Oder ein Gehirn. Aber wenn man mit ihnen Kommunizieren will, redet man gegen eine Wand.
Eine Wand, die auch mal ausholen kann. Nicht nach uns, aber wir waren dabei.
Warum rennen sie uns um, kesseln uns ein, besprühen uns mit Tränengas und schreien uns an? Ich habe keine Mülltonne angezündet, meine Leute auch nicht. Aber das ist ihnen egal. Entweder du bist bei den Nazis, oder bei den Antifas. Oder du sitzt zuhause in deiner Wohung. Dann ist gut. Aber wenn du gerade jetzt auf der Karli bist, dann bist du ein gewaltätiger Linksextremist. Du bist es einfach. Sonst wärst du nicht auf der Straße. Wieder rennen.

Wieder stehenbleiben. Zeit zum umgucken, Zeit zum Lächerlichmachen der Nazis und der Polizei. Zeit zum Nachdenken. Was passiert hier gerade? Unsere Parolen, normalerweise gegen die Rechten, gehen heute gegen die Mauer. Die Mauer, die Aggressivität und Gewalt mit Aggressivität und Gewalt bekämpft, aber blind ist, wer gerade aggressiv und gewalttätig ist. Die Mauer, die doch eigentlich uns schützen und deeskalieren soll.
Tja, dieser Job wird nicht erfüllt. Jeder provoziert jeden.
Wie bei den Pferden. Druck erzeugt Gegendruck. Vor allem bei dominanten Pferden. Deshalb, wenn das Pferd gerade auf Krawall gebürstet ist, solltest du ruhig bleiben. Dann beruhigt sich das Pferd wieder. Sogar Ramona. Es ist so einfach.

Imagine.
Welch ein zeitloses Lied. Wundervoll, wenn Musik so gut ist, dass sie zeitlos ist. Außer bei Imagine. Imagine muss irgendwann mal out of time werden. Aber sowas von.
Aber davon sind wir noch weit entfernt.

Vor allem heute. Am 12.12.2015